Liberty News - Die Turbulenzen an den Finanzmärkten dürften anhalten

Trotz weltweit stark gestiegener Zinsen weist sich die Konjunktur als relativ stabil. Das könnte allerdings trügen, warnen Experten. Denn die Geldpolitik wirkt mit einiger Verzögerung. Was heisst das für die verschiedenen Anlageklassen?

«Wenn die Notenbanken ihre Arbeit getan haben, werden die Leitzinsen ordentlich gestiegen sein», sagt Chris Iggo, CIO Core Investments bei AXA Investment Managers. Er fasst die Auswirkungen für die einzelnen Anlageklassen zusammen. Beispielsweise in den USA sieht er Anzeichen für ein geringeres Kreditmengenwachstum und einen schwächeren Wohnimmobilienmarkt – und irgendwann werde auch der Schuldendienst teurer, ist er überzeugt. Wie schlimm es wird, hänge vor allem von der Inflation und der Reaktion der US-Zentralbank Fed ab. Die Märkte würden sich über jedes noch so kleine Zeichen für ein Ende der Zinserhöhungen freuen. Bleibe das aber aus, schienen die Unternehmensanleihen- und Aktienkurse kaum noch angemessen, warnt er, zumal wohl weitere Zinsschritte folgen würden.

Zinsen könnten weiter steigen

Die Fed habe ihren Leitzins mittlerweile um 450 Basispunkte angehoben, und laut Terminmarkt würden noch 75 Basispunkte folgen (Stand: 8.03.2023). Tatsächlich gab die Fed Ende März bekannt, den Leitzins um weitere 25 Basispunkte anzuheben. Iggo zitiert das Portal Bankrate.com, das schreibe, der durchschnittliche 30-jährige Hypothekenzins sei von 3% Ende 2021 auf nunmehr 7% angestiegen. Der Zins für 90-tägige Commercial Papers ausserhalb des Finanzsektors – ein Proxy für den für Unternehmen relevanten Kurzfristzins – habe in gut einem Jahr um mehr als 450 Basispunkte zugelegt. «Wer heute in den USA einen Kredit aufnimmt, muss also wesentlich höhere Zinsen zahlen, und sie könnten noch weiter steigen», so Iggo.

Allerdings hat die Fed mit ihrem letzten Zinsschritt auch kommuniziert, dass «some additional policy firming may be appropriate», also eine weitere Straffung der Zinsen nötig werden könnte. Das ist eine Änderung in der verbalen Kommunikation der Fed, die bisher immer betonte, dass «ongoing increases in the target range will be appropriate», also Erhöhungen nötig sein würden. Iggo betont, dass eine zu starke Straffung der Geldpolitik eine Rezession auslösen könne, da die höheren Fremdkapitalkosten irgendwann die Nachfrage schwächen würden. Nicht anders sei es im Euroraum und in Grossbritannien.

Manche Anlageexperten, etwa von Columbia Threadneedle Investments (siehe unseren Blog vom ‘Datum’), kommunizierten vor Kurzem noch: «Wir erwarten nicht, dass die Europäische Zentralbank die Zinsen so stark anheben wird, wie der Markt dies erwartet, und die Aktienkurse haben noch Aufwärtspotenzial.» Die EZB hat den Leitzins Mitte März jedoch nochmals um 50 Basispunkte auf 3.5% angehoben. Weiter Erhöhungen dürften folgen.

Kreditnachfrage wird schwächer

Niemand wisse genau, mit welcher Verzögerung die Geldpolitik wirke, sagt Iggo. Aber oft würde es lange dauern. Nach den bisherigen Erfahrungen wäre es nicht ungewöhnlich, wenn das Meiste noch komme. Schon jetzt gebe es Anzeichen dafür, dass die höheren Zinsen wirkten. Laut Fed sei die Hypothekennachfrage drastisch zurückgegangen; zuletzt hätten so wenige Immobilienfinanzierer eine hohe Nachfrage gemeldet wie seit der internationalen Finanzkrise nicht mehr. Auch hätten die Banken ihre Kreditbedingungen gestrafft, für Unternehmen wie für Haushalte. Fast die Hälfte aller Institute würde über strengere Vergabestandards berichteten, ebenso wie einen wachsenden Abstand zwischen Kredit- und Refinanzierungszins und eine deutlich niedrigere Nachfrage nach Handels- und Industriekrediten. «Die Kreditklemme hat begonnen, und sie dürfte sich verschärfen», sagt Iggo.

Immobilien trifft es hart

«Die höheren Zinsen schrecken Kreditnehmer ab», ist Iggo überzeugt. Investitionen und Konsum würden nachlassen. Hypothekennachfrage und Bauaktivitäten würden sinken. Aktuell würden 30% weniger Baugenehmigungen erteilt als beim Höchststand Ende 2021. Es werde weniger gebaut; die Wohnungsbauinvestitionen würden ebenso zurückgehen wie die Beschäftigung im Bausektor und die Nachfrage nach baurelevanten langlebigen Gütern. Es sei aber keine Katastrophe; im Vergleich zu früheren Schwächephasen scheine der Abschwung eher milde: Von 2005 bis 2009 sei die Zahl der Baugenehmigungen um beachtliche 78% gefallen, und in den späten 1980er-Jahren seien es 55% gewesen. Dennoch blieben die höheren Zinsen für den Immobilienmarkt nicht ohne Folgen, warnt Iggo. Auch die Hauspreise gingen allmählich zurück.

Sind Credits sicher?

Iggo verweist auf die beginnenden Zweifel an Credits. Denn die Spreads würden die Konjunkturrisiken bislang nicht wirklich abbilden – wohl auch, weil die Folgen der höheren Zinsen erst ansatzweise zu spüren seien. Für manche Unternehmen seien steigende Kreditkosten aber ein Problem. «Wenn dann mehr Anleihen herabgestuft werden und im High-Yield-Bereich auch die Ausfallrisiken steigen, weiten sich die Spreads aus, und Unternehmensanleihen liegen im Minus», erklärt er. Zurzeit betrage die Spreadduration des amerikanischen Unternehmensanleihenindexes knapp sieben Jahre. Würden sich die Spreads um 100 Basispunkte ausweiten, fielen die Kurse um 7%. Bei einem Abschwung sei eine erneute Ausweitung denkbar.

Unternehmensanleihenemittenten müssen mehr bieten

Die Kreditkosten steigen langsam: Der durchschnittliche gewichtete Coupon amerikanischer Investmentgrade-Titel sei letztes Jahr zwar gestiegen, aber nur wenig, weiss Iggo. Nach dem ICE Bank of America US Corporate Index (ohne Banken) liege er zurzeit bei 3.85% (Stand: 8.03.2023), nach einem Tiefststand von 3.65% Ende letzten Jahres. Am Vorabend der Pandemie seien es 4% gewesen. In Europa seien es nach Jahren extrem niedriger Zinsen bei Investmentgrade-Titeln gerade einmal 1.8%. Die Coupons von Festzinstiteln stiegen nicht, wenn Notenbanken die Leitzinsen erhöhen würden. Erst wenn sich ein Emittent refinanzieren müsse, würden die Fremdkapitalkosten höher. Am Primärmarkt müsse ein typischer europäischer Unternehmensanleihenemittent heute fast 4.5% bieten. Manchen Unternehmen könne der starke Zinsanstieg eine Refinanzierung erschweren.

Das dürfte sich demnach auch auf die Gewinne, die Dividenden und somit auf die Aktienkurse auswirken.

Anleihen werden wieder günstiger

Noch notierten die meisten Unternehmensanleihen deutlich unter pari, erklärt Iggo weiter. Da sie bei Fälligkeit zu pari zurückbezahlt werden müssten, würden ihre Kurse tendenziell steigen, was die Erträge stütze. Geben es dann eine Rezession, werde man über Leitzinssenkungen spekulieren, die für 2024 nach wie vor erwartet würden. Noch sei die Zinsstrukturkurve stark invers, aber jegliche Lockerung der Geldpolitik werde zu einer Normalisierung beitragen, was für Anleiheninvestoren meist gut sei.

Weil man zunächst aber mit weiter steigenden Kurzfristzinsen rechne, seien auch die Langfristrenditen gestiegen. Erstmals seit November 2022 liege die US-Zehnjahresrendite wieder über 4%. Neuanlagen scheinen Iggo sinnvoll. Denn er geht davon aus, dass die Anleihenrenditen noch lange zwischen 3.5% und 4% pendeln oder nur wenig von dieser Spanne abweichen würden.